Das Atom und der Krieg

Russlands ständige Warnungen hinsichtlich eines notwendig werdenden Atomwaffeneinsatzes werden derzeit als böswillige Drohungen missverstanden oder als substanzloses Hundebellen beiseite geschoben. So eskaliert der Westen lieber durch ignorantes Hochrüsten der Ukraine weiterhin den Krieg und blockiert jede Verhandlungslösung. Und während erste US-Think-Tanks wie das Atlantic Council schon den atomaren Gegenschlag fordern, sollte Putin die Ukraine mit Atomwaffen angreifen lassen, muss man sich vergegenwärtigen, wer denn bisher in der Geschichte Atomwaffen eingesetzt hat.

1945: USA in Japan

Das waren am 6. August und 9. August 1945 die USA, als sie die japanischen Städte Hiroshima und Nagasaki bombardierten. 100.000 Zivilisten starben sofort, weitere 130.000 bis Jahresende 1945. Und damit endet auch schon die offizielle Geschichtsschreibung. Es ging jedoch auf anderen Ebenen und auch mit anderen Akteuren weiter.

1950: USA potentiell in Korea

US-General Douglas MacArthur möchte im Jahr 1950 bis zu 30 Atombomben gegen chinesische Truppen einsetzen, die die Grenze zu Korea überschritten.

1954: USA potentiell für Frankreich in Indochina/Vietnam

Frankreich bat die USA um einen Atomangriff zur Befreiung eingekesselter französischer Truppen in Dien Bien Phu.

1958: USA potentiell in der Quemoy-Krise (Taiwan)

1958 planten die USA im Zuge der Zweiten-Taiwan-Straße- oder Quemoy-Krise Atomangriffe auf die chinesischen Städte Shanghai, Guangzhou, Nanjing und Kanton. Ein von chinesischer Seite ausgerufener Waffenstillstand am 6. Oktober 1958 verhinderte den potentiellen US-Atomangriff. Ein solcher Angriff auf China hätte die Sowjetunion zum Gegenschlag bewegen und damit den Dritten Weltkrieg auslösen können.

1962: USA potentiell in der Kubakrise

Schon 1962 standen die USA erneut kurz davor, den Dritten Weltkrieg zu beginnen, weil die Sowjetunion Atomwaffen auf Kuba stationiert hatte. Damit wollte die UdSSR das nukleare Gleichgewicht wiederherstellen, das die USA mit der Stationierung von Atomraketen in der Türkei 1959 gestört hatten. Die Kuba-Krise wurde am 28. Oktober 1962 dadurch beendet, dass die UdSSR einlenkte und die Atomwaffen wieder abzog. Die USA sahen im Gegenzug von einer Invasion auf Kuba ab und versprachen die Atomraketen aus der Türkei zu entfernen.

1968-1972: USA potentiell in Vietnam

Während des Vietnam-Kriegs gab es in den USA verschiedentlich Überlegungen, Atomwaffen gegen Nordvietnam einzusetzen. [1] [2]

1973: Israel potentiell gegen Ägypten

1973 stand Israel im Jom-Kippur-Krieg kurz davor, Atomwaffen gegen Ägypten einzusetzen.

Frühe 1980er: Israel potentiell gegen Syrien

Israel plante die Verminung der besetzten syrischen Golanhöhen mit nuklearen Claymore-Landminen. Das waren direktionale Neutronenbomben, also Fusionsbomben, im Minen-Format, d.h. sie explodieren nur in eine Richtung und hinterlassen keine radioaktiven Rückstande, so dass israelische Truppen direkt nach deren Explosion gegen syrische Angreifer hätten vorrücken können. Die USA hatten diese Technologie in den 1960ern entwickelt, aber deren Nutzung aufgegeben, weil sie zu „sauber“ waren und damit deren Einsatz-Schwelle zu gering war.

Seit 1990: USA und Großbritannien in Irak, Serbien, Afghanistan, Libyen und Syrien

Seit dem II. Irakkrieg, der am 2. August 1990 begann, wurde in mehreren Kriegen, die die USA und Großbritannien führten, DU-Munition mit abgereichertem Uran verwendet. Viele Gebiete in Irak, Serbien, Afghanistan, Libyen und Syrien wurden dadurch atomar verseucht. Langfristig ist deswegen mit Millionen Toten zu rechnen. NATO-Kriege sind wegen des DU-Munitionseinsatzes meistens Atomkriege niedriger Intensität, obwohl die NATO sich bisher in der Ukraine zurückgehalten zu haben scheint und dort zum Glück auf DU-Munition verzichtet. Zu begrenzten Verseuchungen durch DU-Munition kam es auch bei Übungen auf Okinawa (Japan) und Sardinien (Italien) sowie durch einen Flugzeugabsturz in Remscheid 1988 in Deutschland. Russland hat in seinen Kriegen bisher keine DU-Munition verwendet, auch in der Ukraine nicht.

2005: Israel im Libanon

Am 14. Februar 2005 wurde der ehemalige libanesische Ministerpräsident Rafiq al-Hariri bei einem Bombenattentat getötet. Der Anschlag wurde der pro-iranischen Hisbollah zugeschrieben und die darauf folgende „Zedernrevolution“ führte zum Abzug syrischer Truppen aus dem Libanon. Israel hat davon politisch profitiert. Die extrem starke, extrem heiße und zugleich extrem begrenzte Explosion könnte durch eine spezielle Bombe deutscher Technologie mit einer Nano-Menge an Uran verursacht worden sein, die der israelische Geheimdienst für ein False-Flag-Attentat benutzt hätte.

2015: Israel für Saudi-Arabien im Jemen

Am 11. Mai 2015 wurde mutmaßlich als geheime Kooperation von Saudi-Arabien mit Israel eine taktische Atomwaffe gegen ein Ziel im Jemen eingesetzt. Beide Länder sind ja inzwischen Freunde aus Feindschaft gegen den Iran. Viele Handyvideos von der Atomexplosion sind im Internet zu finden. Gerade die niedrig aufgelösten Videos sind wertvoll, weil man auf ihnen sehr gut den radioaktiven Partikelbeschuss auf die Bildsensoren der Handykameras erkennen kann, beispielsweise hier und hier. Einfach nach „Yemen“ und „nuke“ auf einem der gängigen Videoportale suchen, idealerweise herunterladen, und die Videos von der Explosion Frame für Frame ansehen (etwa mit dem VLC Player und angezeigter „erweiterter Steuerung“; dort gibt es dann eine „Frame für Frame“-Taste).

2015: USA in China (?)

Als am 12. August 2015 im chinesischen Tianjin zwei starke Explosionen 173 Menschen töteten und 797 verletzten, gab es Spekulationen darüber, ob die erste Explosion eine taktische Atomwaffe gewesen sei. Der naheliegende Urheber wären die USA, die sich in einem Wirtschaftskrieg mit China befinden. Es wäre sehr befremdlich und eine weitere Wirkung nicht ersichtlich. Für eine Machtdemonstration schießt man normalerweise vor den Bug, nicht aufs Deck . Wenn die USA unter dem Vater der „Eindämmung Chinas“-Doktrin, Barack Obama, das gemacht haben sollten, dann wäre es ihnen darum gegangen, China gegenüber nicht Worte, sondern Taten sprechen zu lassen. Gab es gescheiterte Geheimverhandlungen, die in einer atomaren Ohrfeige mündeten? Um sich nicht öffentlich als ohnmächtig gegenüber den stärkeren USA preiszugeben, hätte China diese Erniedrigung vertuscht.

Russland versucht in der Ukraine immer noch, Worte sprechen zu lassen anstatt atomare Taten. Wie lange noch, wenn niemand zuhört?

2020: Israel in Iran, Syrien und Libanon (?)

Im Sommer 2020 kam es zu einer Reihe von Einsätzen einer israelischen Waffe unbekannter Technologie gegen Einrichtungen und Schiffe im Iran, gegen Syrien und – am verheerendsten – gegen den Hafen von Beirut im Libanon. Die Explosionen waren extrem konzentriert, stark und heiß. Allerdings gab es keine direkten Hinweise auf radioaktive Bestandteile – außer Berichten von libanesischen Ärzten zu Strahlenverletzungen.

2022: Ukrainekrise

Das wären also die militärischen Vorläufer zu einem eventuellen Atomwaffeneinsatz in der Ukraine. Wo waren Empörung, selbstmörderischer Wirtschaftskrieg und Frieren für den Sieg dort? Stattdessen wird die Leier neu aufgelegt werden, dass es so etwas seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gab.

Provoziert wäre ein russischer Atomwaffeneinsatz durch das erneute nukleare und strategische Ungleichgewicht, das die NATO-Osterweiterung, die Westorientierung der Ukraine sowie deren massive Aufrüstung (allein 50 Transportflugzeuge voll mit Rüstungsgütern vom 01.01. bis 23.02.2022), Atomwaffenwünsche ihres Präsidenten und die beabsichtigte Verlegung atomwaffenfähiger US-F35-Jets in die Ukraine (Wochen vor dem Beginn des Ukrainekrieges am 24.02.2022) für Russland bedeutet.

Im Unterschied zu 1958 und 1962 soll es nach westlichem Willen heute aber keine Verhandlungslösung mehr geben. Darum spricht auch niemand von einer „Ukrainekrise“ analog zur Quemoy- oder Kubakrise. Diese globalstrategische Dimension wird im Westen gezielt ausgeblendet, um Russlands Sicherheitsinteressen zu bestreiten und es als bornierten Aggressor darzustellen, der seinen unschuldigen Nachbarn niederträchtig und grundlos überfallen habe. Dieser Propaganda-Trick bereitet den Weg zum Letzten Weltkrieg. Russland geht es in der Ukrainekrise nicht um an sich überflüssiges, zusätzliches Territorium, sondern um sein eigenes Sicherheitsbedürfnis. Das ist kein Luxus, auf den es genauso gut verzichten kann.

Wenn die NATO, die die ukrainischen Truppen trainiert, ausrüstet und inzwischen auch kommandiert, nun also Russland immer mehr zurückdrängt, wird man sich über nichts mehr wundern müssen, weder über einen tatsächlichen russischen Atomwaffeneinsatz, noch über einen westlichen nuklearen False-Flag-Einsatz, der zögerliche Staaten vom totalen Krieg überzeugen soll.


Update, 04.10.2022: 1950, 1954 und 1973 hinzugefügt, vgl. USA/Nato und Russland eskalieren Drohung mit Atomwaffen.

Update, 12.10.2022: 1968-1972 und frühe 1980er hinzugefügt.